In my Skin

Ich muss hier unbedingt mal raus

DVD-Besprechung zuerst erschienen bei: schnitt.de

Marina de Vans autobiografisch inspirierter Langspiel-Erstling strotzt vor schwer erträglicher Körperlichkeit. Und zieht diese dabei in philosophisches Licht, reich genährt von einem durchaus zeitgemäßen Unbehagen an der Kultur.

Die wortgewandte Esther (M. de Van) verletzt sich auf einer Baustelle schwer am rechten Bein, ohne das Ausmaß zunächst zu realisieren. Sie vergnügt sich auf einer Party mit Freunden, betreibt ›networking‹ und findet gar die Ruhe für einen geselligen ›Absacker‹. Makroaufnahmen von Zellstrukturen hängen als Gemälde im Haus der Party und nehmen beiläufig de Vans Themen vorweg: Haut als ästhetische Oberfläche, Kriterien dieser Ästhetik sowie die Frage nach deren Tiefe. Nicht zuletzt: Esthers Verhältnis zu ihrem eigenen Körper, das den gesellschaftlichen, den medizinischen und ihren eigenen Erwartungen nicht entspricht. Die nur scheinbar selbstverständliche Einheit von Körper und Seele vermisst sie (ohne es zunächst zu wissen) ob einer verkopften und entsinnlichten Welt um sie, die sucht, sie platonisch zu spalten.

Bereits die Trennung der opening titles in zwei Bildhälften greift dieses Sujet formal auf, und wird durch das Umkehren der Farben in der einen Hälfte noch verstärkt. In diesen ersten Bildern werden wir auch in Esthers Welt eingeführt: Sie arbeitet als Analystin in einer Unternehmensberatung. Ihr Alltag sind die Bürohäuser aus Stahl und Glas (ebenso glatt wie de Vans Gesichtshaut). Rechner; Tastaturen; Stifthalter; Klimaanlagen. Erfolgsdruck, Beförderungen, Kollegen-Neid. Esther: »Ich muss hier unbedingt mal raus, sonst erstick’ ich noch in diesem Käfig.« Doch niemand kann heraus aus seiner Haut und so wird sich Esther daran machen, ihre ganz eigene Beziehung zu ihrem ›Käfig‹ Körper aufzubauen. So weit so lobenswert; über die Art und Weise wäre Nietzsche dennoch, bestenfalls, traurig gewesen.

Später geht Esther zu einem Arzt. Der ist erstaunt von ihrer Ruhe, angesichts der tiefen Verletzung. In ihr aber wächst die Faszination für das neu entdeckte Phänomen Schmerz-Armut. (De Van selbst fuhr als achtjährige ein Auto über jenes Bein, das ihr seither taub und fremd erscheine.) Esther quält sich fortan ab, ihrem Körper unter Verrenkungen Reaktionen abzufordern, mit tiefen Ritzungen in und unter die Haut. Dafür scheint ihr jeder nur annähernd scharfkantige, metallische Gegenstand recht. Auch mit wenig Fantasie macht allein deren Anblick, und ihr Kratzen, Klirren und Schleifen schaudern. Doch aus Esther dringt kein Schrei. De Vans Mimik bleibt gespenstisch kalt. Ihr Gesicht ist eine straffe Folie, die allenfalls vor Anstrengung spannt, wenn Esther Mühe hat, das Metall ein wenig tiefer durch ihr Fleisch zu ziehen. Die wenige jazzige Untermalung durch das Esbjörn Svensson Trio ist eine angenehm Undramatische, die de Vans Bildern einen Hauch Melancholie verleiht. De Van setzt den Gedanken-Anstoß vor die Schaulust. Das ist gut, schützt es doch vor allzu schneller Verurteilung.

Die Haut ist unser sprichwörtliches letztes Hemd. Auf der Suche nach mehr Erfahrung von sich selbst, zerschneidet, beknabbert und zerkaut Esther ihres wieder und wieder. Erst nur sporadisch, am Ende systematisch. Das ist nicht leicht mitanzusehen. Schließlich: Die Körperliche Unversehrtheit ist Teil vom zivilisatorischen Gral der Menschlichkeit. Ihr Schutz ist das Recht jedes Einzelnen. Wie also mit jemandem umgehen, der sich selbst verletzt? Freund und Freundin von Esther befürchten das Schlimmste und bauen ihrerseits irrationale Ängste auf. Kollektive Werte stehen zum Diskurs. Schöne Beine schöner Frauen, nicht erst seit der Reifeprüfung! »In My Skin ist ein Film über Schönheit und Sanftheit«, so de Van im Interview, das der DVD beiliegt, sich leicht trotzig gegen das Horror-Etikett wehrend. Sie macht es einem nicht leicht, will trotz der gefälligen Worte nicht gefallen.

Ein Geschäftsessen wird schließlich der Wendepunkt für Esther. Während ihre Begleiter über Kulturelles und Kulturen sinnieren, ihre Erfahrungen von Rom, Paris und Mailand, Japan und dem Nahen Osten austauschen, giert Esther mehr und mehr nach intensiver Körperlichkeit, im Hier und Jetzt. Je intellektueller das Gespräch gerät, umso fremder fühlt sich Esther ihres Leibes. Sie verliert gar einen Arm. Dieses surreale Bild ist eindringlicher als alles Blut durch Messer und Gabel, das da noch kommt. Auf dem Höhepunkt wird auch der Bildschirm abermals zerschnitten werden . . . stilistische Vorbilder wie Hitchcock sind in mancher Einstellung und Montage unverkennbar. Das bereitet Freude und zeugt von de Vans guter Ausbildung an der ›La Fémis‹ in Paris. Schade, dass sie sich im Interview umso stärker von allen Vorbildern distanziert. Abermals gebiert sie sich trotzig, wie leider das überholt feministische Begleitheft insgesamt.

»In My Skin« ist thematisch ewig aktuell und in seiner Umsetzung extrem eigenwillig, was eher die Aufmerksamkeit stiller Bewunderer als die frenetischer Fans finden dürfte. Bleibt der Philosophin und Künstlerin de Van also nur zu wünschen, mindestens in ihrer Sujet-Wahl auch weiterhin derart ambitioniert zu bleiben!


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