Kreativ, das sind die anderen

Kreativitäts-Test nach Niklas Luhmann

Luhmann, Niklas: Über Kreativität, in: H.-U. Gumbrecht (Hrsg.): Kreativität – Ein verbrauchter Begriff.

»Es handelt sich um einen Selbsttest, der aber auch einem Abfrageverfahren zu Grunde gelegt werden kann; und es handelt sich um einen Zweistufentest. Auf der ersten Stufe ist eine ganz einfache Verhaltensregel zu befolgen: Man nehme sein Gewissen und gehe in das Nachbarzimmer. Wenn man feststellt, daß der Nachbar Bücher liest, die man selbst noch nicht gelesen hat, und wenn man dann ein schlechtes Gewissen verspürt, ist man nicht kreativ. Man will ihn nur nachahmen. Wenn man dagegen feststellt, daß der Nachbar die gleichen Bücher liest wie man selbst und man dann ein schlechtes Gewissen verspürt, ist man vermutlich kreativ. Denn dann sucht man, vielleicht unbewußt, neue Wege. Kreativität wird hier also über die Steuerung von Schuldgefühlen getestet. Allerdings ist dies nur die erste Stufe des Tests. Auf der zweiten Stufe gilt die Regel: Wer den Kreativitätstest anwendet, ist schon deshalb nicht kreativ; denn das zeigt, daß er interessiert daran ist, kreativ zu sein. Und das wollen ja schließlich alle.«

zitiert nach:
Bröckling, Ulrich: Über Kreativität – Ein Brainstorming, in: C. Menke (Hrsg.) & J. Rebentisch:
Kreation und Depression – Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus.
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2010. (S. 96–97)


mehr →


Zitate