Five Minutes of Heaven

Mit Tempo zwischen die Bilder

DVD-Besprechung zuerst erschienen bei schnitt.de

Des Öfteren sieht sich der Kinogänger nach einem Hirschbiegel-Film gespalten: die Faszination für die einfühlsame Inszenierung und der Debattierdrang bezüglich aufgeworfener moralischer Dilemmata spielen Ping-Pong. Das ist wahrscheinlich so, weil für Oliver Hirschbiegel das gleiche gilt, wie für Alistair Little: »Versöhnung steht … nicht zur Diskussion.« Ein gutes Credo, wie ›Five Minutes of Heaven‹ abermals zeigt.

Der Film spielt vor dem Hintergrund des Nordirland-Konflikts Mitte der 1970er Jahre. Die zwei Hauptfiguren, Joe Griffin (James Nesbitt) und Alistair Little (Liam Neeson), haben ihr Vorbild im realen Leben. Der eine (Little) ist ein Mörder, der andere (Griffin) der jüngere Bruder seines Opfers. Drehbuchautor Guy Hibbert traf sich mit beiden einzeln, dreißig Jahre nach der Tat und konfrontierte sie mit der Frage, was sie täten, wenn sie dem anderen heute gegenüber stünden. Die Rache-These lautet: erst in dem Moment der Vergeltung wird das Opfer seinen Frieden finden. Auch der Film-Griffin sieht dies so und will Little töten, sobald er die Gelegenheit bekommt. Ohne Zögern. Zu keinem Zeitpunkt lässt das Drehbuch einen Zweifel an Griffins Motivation und unser Wissensvorsprung macht hier den Großteil der Spannung aus. Und tatsächlich wird Griffin der Erfüllung dieser Verheißung bedrohlich nah kommen. Doch wir fürchten nicht um Alistair Littles Leben, sondern um Joe Griffins Unschuld. Auch dafür hat Hibbert drehbuchseitig gesorgt und das macht dieses ehrliche Drama so faszinierend. Wir sympathisieren mit dem ›Bösen‹, der natürlich gar nicht so böse ist. Das diskutable Ende ist eine jener Stärken, die allzu oft verkannt werden: Wozu schon Konsens? Der bringt uns nirgends hin.

Zu aller erst aber nimmt Hirschbiegel uns mit zurück ins Jahr 1975, zu dem Mord an Griffins Bruder durch Alistair Little. Der junge Alistair sagt zu seinen Kumpels: »Wenn wir danach in die Bar gehen, sind wir drei Meter groß.« Sein jugendlicher Wunsch nach Größe und Anerkennung mag naiv und lächerlich wirken, ist aber tatsächlich die treibende Kraft in der Gruppe und in einem Alter, in dem man sich erwachsener zu sein wünscht, als man tatsächlich erst ist: jenseits aller politischen oder religiösen Motivation. Doch mit jedem Alter mehr wird man häufiger gezwungen, individuell Verantwortung für kollektive Um- und Zustände zu übernehmen. Auch an Joe Griffin wird dieser Appell 30 Jahre später gerichtet: »Ich möchte nur, dass Sie sie selbst sind.« Um diese Behauptung bzw. Findung eines eigenen und stabilen Selbst geht es hier vor allem anderen. Das unterscheidet Hibberts Drehbuch von jedem schnöden Rachethriller. Es geht hier um den Mann der Mann war. Um den Mann der Mann ist. Und: Um den Mann der Mann werden könnte. Also nie um die Versöhnung mit einem Zustand, sondern immer um eine Art Ablösung von diesem. Hinter sich lassen, um nach vorn schauen zu können. Im Tun aus der Opferrolle heraustreten. Ein Konzept, das Leben lebbar und also lebenswert machen soll.

Den erwachsenen Joe Griffin lernen wir kennen als immer noch uneins: »Ich habe die falschen Gefühle.« Jene (wünschenswerte?) Wandlung vom Mann der er war, zu dem, der er sein könnte, blieb ihm bisher verwehrt. Er durchlebt stattdessen einen Kampf, bei dem das Ich wie in einer Hochdruckkammer zu zerplatzen droht. Nesbitt spielt diesen Kampf perfekt, eine Erfahrung, die man sich im Originalton gönnen sollte! Er zeigt wie kaputt Griffin seit dreizig Jahren ist. Unser Mitgefühl erspielt er sich meisterlich. Fast wünscht man ihm, dass es ihm gelingt, seinen Bruder zu rächen, damit er seinen Frieden fände. Doch dann verlöre auch er seine Unschuld.

Das Drehbuch hält noch einen kleinen Brandbeschleuniger bereit, der glücklicher Weise nicht überstrapaziert wird: das Treffen der zwei Männer soll vor den laufenden Kameras einer Fernsehshow stattfinden … »Ich bin doch kein verdammtes Zirkuspferd!« Griffin sieht sich in der Enge. Spannung ist hier also schon von Grund auf angelegt und dabei immer aus der menschlichen Not heraus gesteigert. Hirschbiegel, Neeson und Nesbitt schaffen es, dieses Niveau keinen einzigen Moment lang zu verlassen: ›Five Minutes of Heaven‹ ist bestes Drama ohne dramatisch zu sein. Dies scheint ein Moment, an dem ›1 Mord für 2‹ schon ›litt‹: beide sind wohl-komponiertes, eng getaktetes Kammertheater. Diesem Begriff von Film fehlt leider noch die nötige und verdiente Popularität. Das ist schade, denn dass das Genre Rachethriller derart menschlich, schnörkellos und gleichzeitig mit solch packender Kurzweil daher kommen kann, ist schon ein erfrischendes Erlebnis.

So ist dies Hirschbiegels vielleicht bisher bester Film. Alles ist hier auf den Punkt: Drehbuch, Dialog, Schauspiel, Schnitt und Ton. Kein Department erlaubt sich Ausschweifungen. ›Dicht‹ könnte das Stichwort für jeden gelautet haben: Jeder Satz ist voll mit Emotionen oder von lebensumspannender Tragweite. Die Kamera bleibt immer nah an ihrer Beute. Das Stück als Ganzes ist unglaublich eng montiert und von perfektem Timing. Nähme man ihm dieses stabile Montagekorsett, zerfiele alles wie von selbst. So ist der Film reinster Film, der ohne sein Filmisches nichts weiter wäre als fotografierte Realität. (Dies wiederum ist ›5 Minutes …‹ ausgerechnet in seinen Actionszenen, die Hirschbiegel treffender Weise als »dirty, mean, realistic« beschreibt. Eine durch und durch geglückte Umkehrung der Verhältnisse!)

Für die DVD wäre ernstzunehmendes, themenbezogenes Bonusmaterial wünschenswert gewesen, über die realen historischen Hintergründe und deren Auswirkungen bis ins Heute. Auf die üblichen bits and pieces von lieblos redundanten Interview-Schnipseln mit cast and crew hätte verzichtet werden können. Ihr Mehrwert erschließt sich nicht. Der Güte dieses eindringlichen Films tut das keinen Abbruch.


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