Hereafter
Einsamkeitsbewusstsein und Solidaritätsverlangen
Tausendsassa Clint Eastwood beschert uns mit »Hereafter« einen beeindruckend gelassenen Blick auf drei Leben an der Scheide. Dass das unter unnötig esoterischen Vorzeichen geschieht, ist bedauerlich.
Das Meer ist blau. Die Sonne gelb. »Airport gifts suck.« Marie begibt sich also ein letztes Mal auf den nahen Markt, auf Geschenke-Suche für die Kinder ihres Freundes. Schon rollt ein Tsunami Wassermassen durch die Straße. Marie zieht es in die Tiefe. Unnachgiebig schieben uns die Bilder in den Sessel. Der Strom schäumt voll die Kehlen. Starre Blicke: von der Leinwand; auf die Leinwand.
Menschen sterben. Manche fast. Andere ›kehren wieder‹. Die Wucht dieser Bilder überrascht. Ist Eastwoods Stil doch insgesamt, wie immer: unaufgeregt. Man will fast meinen: lakonisch, doch nie beiläufig oder gleichgültig. Davor bewahrt ihn sein feinfühliges timing und der einfühlsam melancholische Score, von Eastwood persönlich komponiert.
»Hereafter« geht davon aus, dass es ein Jenseits gibt und manche Menschen würden unter verschiedenen Bedingungen einen Blick dort hin werfen. Wie aber weiter nach dieser meist unfreiwilligen Erfahrung? Die Frage stellt sich für die Nahtod-erfahrene Marie, möchte-nicht-gern-Medium George und den kleinen Marcus, der seinen Zwillingsbruder durch einen Autounfall verliert. Die drei kennen sich nicht. Es eint sie die Einsamkeit nachdem das Irrationale in ihr Leben brach. In diese Richtung kann man den Blick nämlich ebenso deuten: Nicht sie blickten ins Jenseits, sondern jener Unort schaute in sie. Ihre Anschlussfähigkeit ans Diesseits wird ihnen erst einmal genommen … das ist großes Drama: nah an den Menschen; und nah an uns. Sehnsucht. Annehmen. Verwerfen. Grundlegende Fragen ohne Depression! Eastwoods gewohnt besonnene Erzählweise lässt den Figuren Raum und Zeit. Zu viel scheint es bisweilen, wenn sie einsam in der Blöße des Seins selbst dastehen. Mächtig wiegt die Existenz. Das zeigt »Hereafter« mit der ungeahnten Kraft der Entschleunigung. Auch die drei Helden zehren von dieser Kraft und natürlich wird am Ende das, was sie zu brechen drohte, ihnen neue Türen öffnen.
Geschmacksache bleibt der die Erlösung verheißende Nichtort selbst. Was diese gänzlich un-clintschen Bilder des Jenseits sollen, bleibt völlig unverständlich. Sie erweisen dem Ganzen weder Funktion noch Schauwert. So sind sie wohl mehr dem Drehbuch oder Spielberg als ausführendem Produzenten geschuldet. Vielleicht war auch einfach zu viel Geld im Produktionstopf, das ausgegeben werden musste. Wir wissen es nicht. Aber wie sagte schon Albert Camus: »Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann.« So überwinden wir auch diese Bilder!
Hollywood wiederum gibt sich da natürlich weitaus affirmativer und verwöhnt seine Figuren mit einem amtlichen, un-europäischen ›happy ending‹. Das will erst einmal geschluckt werden, steht es doch diametral zur sonst bewundernswert nüchternen Inszenierung. Überhaupt scheint das letzte Viertel eine einzige vertane Chance, wenn die Wege der drei sich kreuzen, als wären bisher Deckel und Topf über Kontinente hinweg voneinander getrennt gewesen.
Eastwood erscheint in den vergangenen Jahren – als Regisseur, Produzent, Komponist und Schauspieler – produktiver denn je. Mit »Hereafter« ist ihm erneut ein berührendes Werk gelungen, das einzig eine kleine Unsicherheit im Umgang mit dem Fantastischen offenbart, über die hinweg zu schauen lohnt. Sein bester Film ist es damit aber nicht.